Monatsspruch Februar
Liebe Lesende,
warum liest man überhaupt etwas? Um sich zu informieren, klar. Die Tageszeitung etwa oder das Gemeindeblatt oder Sachbücher. Um sich unterhalten zu lassen – da gibt es ein weites Spektrum, was die Art der Unterhaltung angeht, von Krimis über Liebesromane bis zu Fantasy-Schmökern. Um den Horizont zu erweitern durch Erfahrungen, die ganz anders sind als das mir Vertraute. Oder um mich trösten zu lassen dadurch, dass ich mit meinen Gedanken nicht alleine bin.
Verschiedene Motive zu lesen, und es gibt noch mehr. Und alle diese Motivationen können durchaus auch Gründe sein, die Bibel zu lesen. Der Monatsspruch aus dem 2. Brief an Timotheus kennt aber noch einen anderen Grund: Alle Schrift, von Gott eingegeben, ist nütze zur Lehre, zur Zurechtweisung, zur Besserung, zur Erziehung in der Gerechtigkeit. (2. Timotheus 3,16).
Lesen zur Erziehung also? Das klingt erstmal nicht so furchtbar attraktiv. Zumal die meisten Bibelleser ja erwachsen sind – braucht man da noch Erziehung? Dann allerdings ist mir eingefallen: Es gibt auch in der sonstigen Literatur das Genre des sogenannten Erziehungs- oder Bildungsromans, zu dem man so unterschiedliche Bücher zählen kann wie Goethes Wilhelm Meister, die Trotzkopf-Bücher oder Nils Holgersson. Ein Mensch geht – freiwillig oder gezwungen – ein Stück weit in die Welt hinaus, erweitert seinen Horizont, macht Erfahrungen – und geht verändert, gereifter, besser daraus hervor.
So etwas wünscht sich der Verfasser des Briefs an Timotheus auch für seine Leserinnen und Leser. Gerade weil er ahnt, dass die Zeiten nicht einfach sind, legt er ihnen ans Herz, sich an die Schriften der Bibel zu halten – das heißt vor allem wohl: An die des Alten Testamentes, denn das Neue gab es noch gar nicht. Ob sie das überhaupt alle selber lesen konnten? Oder ob sie manche Passagen auswendig konnten, so dass sie sie beständig begleiteten?
Jedenfalls: Haltet euch an die Bibel, empfiehlt er. Um euch zu informieren, unterhalten zu lassen. Zu trösten und zu bestärken. Aber auch, um euch verändern zu lassen. Bereichern zu lassen und zu lernen von Erfahrungen, die nicht ganz direkt eure sind, sondern Erfahrungen, die andere Menschen gemacht haben. Eben auch mit Gott, von ihm inspiriert – und insofern „eingegeben“, wie es heißt. Was ausdrücklich nicht meint, dass jedes Wort in der Bibel wörtlich zu nehmen sei – denn auch Erfahrungen mit Gott finden, wenn sie aufgeschrieben werden, ihre Grenzen in unserem menschlichen Horizont, Verständnis und Ausdrucksvermögen.
Es gibt auch heute noch verschiedene Wege, sich so von biblischen Texten berühren zu lassen. Katholische Orden beten sich im Stundengebet durch die Psalmen mit ihrer ganzen emotionalen Palette. Manche evangelische Christen nehmen morgens erstmal – erfreut oder erstaunt – die Herrnhuter Losung für den Tag zur Kenntnis. Im Bibliolog schlüpft man in Gedanken in die Rolle biblischer Gestalten. Und manch eine oder einer liest sich mit einem Bibelleseplan durch die ganze Bibel.
Ein Gebetbuch – eigentlich für Kinder -, das ich sehr mag, nimmt menschliche Grunderfahrungen und bringt sie ins Gespräch mit den Erfahrungen biblischer Gestalten. Neu und fremd sein, Einsamkeit auf dem Schulhof, Überforderung, Wut über Ungerechtigkeit – sie finden Resonanz in den Erfahrungen von Daniel, Jona oder Marta. Und oft genug tut sich im inneren Gespräch mit diesen Erfahrungen eine Tür auf dazu, meine eigene Situation neu zu sehen.
Das erinnert mich an das lateinische und englische Wort für Erziehung: Edukation, das heißt wörtlich: Herausführen. Und das ist in der Tat etwas, wozu die Bibel in der Lage ist: Herausführen aus der Enge der eigenen Gedanken, aus dem, was ich ganz persönlich für möglich halte. Nicht immer stimme ich allem zu, nicht immer sagen die vielen Stimmen, die in der Bibel zu Wort kommen, auch nur das gleiche. Aber sie führt in ein weites und lohnendes Land.
Ihre Pfn. Thora Weintz