Monatsspruch Mai

Weigere dich nicht, dem Bedürftigen Gutes zu tun, wenn deine Hand es vermag.

Liebe Gemeinde, 
die Szene kennen wohl alle, die in Berlin im öffentlichen Nahverkehr unterwegs sind: Da öffnet sich die Türe der S-Bahn, und jemand möchte eine Straßenzeitung verkaufen, bittet um etwas Kleingeld oder etwas zu essen. Etwas geben oder nicht? In mir ringt das Mitgefühl mit einem leicht genervten „Nicht schon wieder“, gewürzt mit einer Prise „Und hilft das denn wirklich, wenn ich etwas gebe?“

„Weigere dich nicht, dem Bedürftigen Gutes zu tun, wenn deine Hand es vermag.“

Da hinein kommt der Monatsspruch für den Mai. Ein Wort aus dem Buch der Sprüche, das Lebensweisheiten sammelt. Die sich vor allem damit befassen, was ein gutes Leben ausmacht – und Gott kommt auch drin vor, aber gar nicht so sehr im Vordergrund.

Auf den ersten Blick scheint klar, was der Satz mir rät. Sich nicht weigern, Gutes zu tun. Das ist in etwa das, was man erwartet von moralisch richtigen Lebensweisheiten!  Absehbar, aber trotzdem nicht so einfach umzusetzen.

Erst beim genauen Hingucken wird es interessant. Spannend ist da einmal der Nachsatz:

Weigere dich nicht, Gutes zu tun,
wenn deine Hand es vermag. Wenn du es kannst. Wenn deine Möglichkeiten es zulassen.
Darin schwingt die Erkenntnis mit:
Nicht immer lassen meine Ressourcen zu, etwas zu tun. Manchmal sind meine finanziellen Möglichkeiten ganz reell begrenzt, manchmal aber auch meine Kräfte, meine Zeit und Aufmerksamkeit.

Und spannend ist außerdem:

Was genau ist gemeint, wenn hier von Bedürftigen die Rede ist? Dabei geht es nämlich gar nicht nur um ökonomisch Schlechtergestellte, und was jemand braucht, ist nicht notwendigerweise finanziell.
Vielleicht ist das Gute, was ich tun kann, an diesem Tag nicht das Kleingeld, sondern das freundlich antworten, in die Augen sehen statt betreten auf den Boden?

In anderen Übersetzungen ist die Rede davon, dem Gutes zu tun, „der deine Hilfe braucht“, und das kann jeder sein:
Der Nachbar, der nicht zum Supermarkt kommt,  der Freund, dem der Babysitter abgesagt hat, die Kollegin, die an sich zweifelt und einen Schwatz braucht.
Insofern ist die Illustration für diesen Monatsspruch sehr schön und passend: Manchmal ist das Gute, das wir tun können, in der Tat die Tasse Kaffee.

Manchmal sind wir selber auch die, die Hilfe brauchen. Und froh sind, wenn andere dann für uns da sind. Und manchmal – und oft zur gleichen Zeit – sind wir diejenigen, die von Gott genug bekommen haben, um es weiterzugeben.

„Weigere dich nicht, dem Bedürftigen Gutes zu tun, wenn deine Hand es vermag.“

Beides steckt drin in diesem Spruch:
Die Erkenntnis, dass nicht immer locker flockig drin ist, Gutes zu tun, dass es manchmal womöglich auch gar nicht geht.
Aber zugleich steckt darin auch die Ermutigung – und die Ermahnung – sich dem Tun des Guten nicht vorschnell zu entziehen, weil es gerade nicht so optimal passt – denn wann passt es schon mal optimal?
Und die Gelegenheit zur Hilfe, die sich uns bietet, auch wenn sie ungelegen kommt, ist genau das: Eine Gelegenheit. Menschenfreundlichkeit auf morgen zu vertagen, ist ein Risiko.

„Nicht hinausschieben, was du heute tun kannst,
du machst deinen Tag ärmer“ schreibt Dietrich Bonhoeffer zu unserem Bibelwort und erinnert daran, dass auch unsere Möglichkeiten und Gelegenheiten zu Gutem nicht ewig sind.  
Ich nehme diesen Satz mit in meinen Tag, in die S-Bahn. Oder ins Café. Und bin gespannt, welche Gelegenheiten sich bieten und was ich dann gerade vermag.

In diesem Sinne: Reiche Tage im Monat Mai wünscht Ihnen

Ihre Thora Weintz