Monatsspruch November

Groß und wunderbar sind deine Taten, Herr und Gott, du Herrscher über die ganze Schöpfung. Gerecht und zuverlässig sind deine Wege, du König der Völker.

Liebe Gemeinde, 
was ist eigentlich Fakt und was Fiktion? Was ist gesunde Skepsis und wo beginnt bereits die Verschwörungstheorie? Wie gern hätten wir auf diese Fragen eine klare Antwort. Eine feste Grenze, die alle einsehen und anerkennen, doch leider geht das nicht immer. Was wahr und was gelogen ist, was richtig und was falsch ist, oft liegt die Antwort im Dunkeln. Wir kennen erst im Nachhinein die ganze Geschichte mit allen ihren Facetten, wir ändern unsere Meinung mit der Zeit, weil sich die Gegebenheiten ja auch ändern, oder wir müssen einsehen, dass es verschiedene Blickwinkel auf ein und dieselbe Sache gibt. Schließlich kann ein Gummitier auch mal sowohl süß als auch sauer zugleich sein.

Die Frage, was denn nun die Wahrheit ist, ist schwierig zu beantworten, nicht erst seit der Pandemie, der Klimakrise oder dem Krieg in der Ukraine. Denn wenn die Welt um uns herum zu kompliziert wird, die Fakten zu undurchsichtig, dann liegt die Wirklichkeit wie durch dichten Nebel vor uns verborgen. Dann ist nicht klar, was oder wem wir vertrauen können, was Trug und was Realität ist. Das macht unsicher und Unsicherheit führt zu Uneinigkeit und Streit. Sie reißt Gräben auf in Familien, Freundeskreisen und in der Gesellschaft, weil jede und jeder auf seiner Wahrheit beharrt. Weil niemand zugeben möchte, vielleicht doch falsch zu liegen, und das macht das Zusammenleben von Menschen ziemlich schwierig.

In diese Situation hinein spricht der Spruch für den Monat November. „Wehe denen, die Böses gut und Gutes böse nennen, die aus Finsternis Licht und aus Licht Finsternis machen, die aus sauer süß und aus süß sauer machen!“  Wehe, das klingt drohend, einschüchternd, strafend. Doch es steckt noch mehr dahinter. Das Wort stammt eigentlich aus der Totenklage und ist ein Ruf des Schmerzes, der Trauer, des Verlusts. Das finde ich besonders kraftvoll, denn in diesem Wehe steckt nicht nur die Anklage, sondern auch die Klage; nicht nur die Zurechtweisung derer, die die Wirklichkeit verdrehen, sondern auch die Trauer darüber, was diese verdrehte Welt mit uns Menschen macht. Wehe der Welt, in der die Wahrheit nicht mehr erkenntlich ist, in der die Fakten verdreht werden bis zur Unkenntlichkeit, in der weder Gut noch Böse wirklich noch etwas gelten. Wehe der Welt, in der wir Menschen nicht mehr miteinander reden können, weil wir uns uneinig sind, was denn nun Wirklichkeit ist. Eine solche Welt ist beklagenswert - da stimme ich mit dem Propheten Jesaja ganz überein! 

Doch das Schöne ist, wir können darauf vertrauen, dass Gott uns aus dieser misslichen Lage befreien will: Wenn wir allein nicht mehr erkennen können, was gut ist und was böse, wenn wir Licht und Finsternis nicht mehr voneinander trennen können, wenn uns das süß-saure Gummibärchen vollends verwirrt zurücklässt, dann will er uns mit seinem Wort die Augen öffnen. Er will uns aufrütteln in unserer beharrlichen Selbstsicherheit, allein die ganze Wahrheit zu kennen, und uns immer wieder aufs Neue dazu ermutigen uns selbst die Frage zu stellen: Verdrehe ich vielleicht etwas? Erkenne ich die ganze Wirklichkeit? Oder steckt hinter der Perspektive meines Nächsten nicht auch etwas Licht?

Wenn wir das tun, können wir der Unsicherheit entgegenwirken. Können lernen, böse von gut zu trennen, Licht von Finsternis und süß von sauer. Aber wir können auch erkennen, an welchem beides nicht klar voneinander zu trennen ist, wo verschiedene Perspektiven möglich sind. Erst dann können wir auch in diesem November den Nebel lichten und klare Sicht bekommen darauf, was Wirklichkeit ist, nicht nur für mich, sondern für alle Menschen.

Ihre Pfn. Britta Heesing-Rempel