Monatsspruch September

Ihr sät viel und bringt wenig ein; ihr esst und werdet doch nicht satt; ihr trinkt und bleibt doch durstig; ihr kleidet euch, und keinem wird warm; und wer Geld verdient, der legts in einen löchrigen Beutel.

Liebe Gemeinde,
alles Tun scheint vergeblich, alles Streben ohne ein befriedigendes Ergebnis, viel Aufwand für wenig Ertrag – Frust macht sich breit – und kein Silberstreif am Horizont. So meine Gefühlslage, als ich mir die Worte des Propheten Haggai verinnerliche, die uns im Monat September durch die Tage begleiten sollen.

Was war geschehen, dass der Prophet aus dem sechsten Jahrhundert seine frustrierenden Worte spricht? Auf den ersten Blick hatte sich Vieles zum Guten gewandelt: 70 Jahre nachdem die Babylonier Israel besiegt, den Tempel zerstört und viele aus der Oberschicht Israels nach Babylon verschleppt hatten, war das Babylonische Reich von den Persern besiegt worden. Die Perser ließen alle verschleppten Israeliten und deren Familien, die das wollten, wieder nach Jerusalem zurückkehren. Endlich waren sie wieder in der alten Heimat, endlich wieder im Land der Väter, endlich wieder in der Nähe des Tempels und damit in der Nähe Gottes.

Der Tempel freilich lag noch immer in Trümmern. Und so bleib es auch noch eine – aus der Sicht des Haggai – viel zu lange Zeit. Denn während sich alle daran machten, ihre verlassenen und zerfallenen Häuser wieder aufzubauen, Felder zu bestellen und sich nach gar nicht langer Zeit wieder stabile Verhältnisse einstellten, lag der Tempel noch immer in Trümmern. Haggai ist das nicht nur ein Dorn im Auge – sondern er nimmt wahr, wie sehr dem Leben der Menschen die Tiefe und die Befriedigung, ja die Erfüllung zu wirklichem Menschsein im Angesicht Gottes fehlte. Ihre Erfüllung als Gottes Geschöpfe und Ebenbilder war nicht möglich, weil ihnen schlicht und einfach die Möglichkeit fehlte, vor das Angesicht Gottes im Tempel zu treten. Und nicht nur das – sondern mit der fehlenden Mitte des Tempels fehlte ihnen auch der Mittelpunkt ihres sozialen Miteinanders.

Seine Diagnose: All euer individuelles Streben nach Erfüllung führt letztlich ins Leere, weil es euch nicht nur von Gott, sondern auch von einander trennt. Alles, was euch als Einzelne vermeintlich Erfüllung verspricht, erfüllt dann doch nicht die Erwartung, die ihr darin erhofft hattet. Weil euch der Blick für Gott und der Blick für euren Nächsten fehlt.

Und seine Verheißung ist: Wenn ihr erst den Tempel wieder aufgebaut habt – wenn ihr euch damit die Möglichkeit eröffnet habt, Gott wieder einen Platz in eurer Mitte und euch selbst eine Mitte zu geben, wird sich das ändern. Euer vergebliches Streben wird aufhören – und die schwere Dürre, die euch nun auch noch heimsucht, gleich mit. Erstaunlich aktuell erscheint die Diagnostik des Haggai, wenn es darum geht, ein Bewusstsein für das Gemeinsame im Angesicht Gottes, das Gemeinsame aus der Verantwortung heraus, mit der wir von Gott ins Leben gestellt sind, wertzuschätzen. Mein Blick wird einerseits global, wenn ich die zwingend notwendigen Schritte sehe, die angesichts der absehbaren Klimakatastrophe und des fortschreitenden Artensterbens nötig sind – und doch nicht gegangen werden. Weil das individuelle Streben nach Glück und Wohlstand aus den Augen verliert wird, dass das auf Dauer nur dann zu einem Ziel führt, wenn wir unsere Grundbestimmung als Hüter der guten Schöpfung endlich ernst nehmen. Da ist das Bild des Essens, das nicht satt macht, das Trinken, das durstig lässt, der Kleidung, die einen frieren lässt, das Geld, das durch den löchrigen Beutel rinnt, für Millionen Menschen dieser Erde brutal aktuell. Und es nötigt mich ganz individuell zu schauen: Was essen wir, was nicht nur uns satt macht, sondern auch die, die es für uns aussäen und für uns ernten; was trinken wir, das nicht andere an anderen Orten dürsten lässt, welche Kleidung wärmt wirklich, auf Dauer und nachhaltig.

Der Leitgedanke des Haggai kann helfen, diese Fragen zu beantworten, bzw. eine Haltung zu gewinnen, mit der wir unsere Sehnsucht nach Erfüllung näher kommen. Sich zu besinnen, Gott in die Mitte zu nehmen, sich wieder neu gewahrzuwerden, wie groß die Verantwortung ist, mit der uns Gott in diese Welt entlassen hat, damit wir sie bewahren und in sozialem Miteinander gestalten.

Pfr. Roland Wieloch
P.S.: Wer bisher von dem Propheten Haggai noch nichts wusste – und Lust auf ein kleines Video hat, der findet hier in 3,5 Minuten eine kleine - und sogar vergnügliche - Zusammenfassung: https://www.youtube.com/watch?v=z4itBZGUTvI