Monatsspruch Juni

Du allein kennst das Herz aller Menschenkinder

Liebe Gemeinde,
das menschliche Herz ist schon ein besonderes Organ. Es ist mehr als nur eine Blutpumpe. Was für ein vielfältiges Organ! Die Bibel ortet hier Geist, Seele und Charakter des Menschen.  Also alles, was den Menschen ausmacht. „Schaffe in mir, Gott, ein reines Herz, und gib mir einen neuen, beständigen Geist.“ heißt es im 51. Psalm. Kein Wort kommt zudem im Gesangbuch so häufig vor wie das Herz: „Aus meines Herzensgrunde sag ich dir Lob und Dank . . .“, oder „Ich singe dir mit Herz und Mund . . .“. Sie alle kennen diese schönen Morgenlieder. Auch aus unserem Sprachgebrauch ist das Herz nicht wegzudenken. Hand aufs Herz; Herzenswärme; Löwenherz; Herzdame; Herzklopfen; Herzenslust; Hasenherz;  offenherzig; herzhaft . . . Die Liste lässt sich beliebig verlängern. 

Kürzlich erzählte mir ein Mann aus unserer Gemeinde, das sein Herz schwer geworden sei. Die Corona-Pandemie mache ihm zu schaffen. Die Sorge um geliebte Menschen, die er nicht besuchen durfte, trieb ihn arg um. Der Stillstand in der Gemeinde ebenso und die damit zusammenhängende Frage nach dem „Wie lange soll das so gehen?“ Am schlimmsten aber war für ihn ein damit verbundenes apokalyptisches Gefühl. Eine Ahnung, dass die Apokalypse im Gange sei. Nein, nicht dass sie an einem Tag passiert, mit einem großen Knall, wie in der bunten Kinderbibel beschrieben, sondern vielleicht über einen Zeitraum von 20 oder 50 Jahren. Schleichend sozusagen.

Ja, zugegeben, auch mich treiben diese Fragen um.

Es belastete auch mich, nicht zu meiner 88jährigen Mutter fahren zu dürfen. Zum Glück geht das jetzt wieder. Wie lange der Zustand des Stillstandes in der Gemeinde andauern wird, wissen wir auch nicht. Die Ungewissheit schmerzt. Wir können nicht planen. Wir vermissen von Herzen das Leben, die Gemeinschaft, den Gesang im Gottesdienst, das Händereichen, das Abendmahl mit Brot und Wein, das Taufen von Kindern, das Segnen von Paaren und die würdevollen Bestattungen, die derzeit vor der Kapellentür abgehalten werden müssen.

Dieser Virus hat unser Leben mächtig auf den Kopf gestellt. Andererseits möchte ich mich nicht von den dunklen Gedanken vereinnahmen lassen. Angst und Sorge sind doch nie gute Ratgeber. Sie machen unfrei und hindern uns am aufrechten Gang. Dunkle Gedanken sind wie ein Lied mit unendlich vielen Strophen, aber dem stets gleichen Refrain.

Gegen eine Lebensphilosophie der Angst, der Sorge und des Zweifels versuche ich stets mein Zutrauen zu Gott zu setzen. Meine Gewissheit lautet – Es gibt ein Wort der Wahrheit, das Evangelium.

In letzter Zeit lese ich gern Liedstrophen von Paul Gerhardt. Sie wissen ja, in welch schwerer Zeit er lebte. 30jähriger Krieg, marodierende Banden, Pandemie. Er verlor viele Kinder und seine Frau ... Diesen Mann trifft ein Unglück nach dem anderen, so dass einem schon beim Zuhören die Knie wegsacken wollen. Und doch dichtete er die schönsten und zugleich theologisch tiefsten Lieder, aus denen viel Kraft und Zuversicht scheint. Er hatte ein beneidenswertes Herz! Ein kraftvolles Herz! Schlagen Sie mal sein Osterlied „Auf, auf, mein Herz mit Freuden“ auf (EG 112). Da heißt es in der fünften Strophe: Die Welt ist mir ein Lachen mit ihrem großen Zorn ... Die Trübsal trübt mir nicht mein Herz und Angesicht; das Unglück ist mein Glück, die Nacht mein Sonnenblick.

Natürlich, der Weg aus der Nacht in den Sonnenblick braucht seine Zeit. Doch seien Sie gewiss: Die Zeit wird kommen und wir werden wieder Feste feiern, uns begegnen und uns die Hände reichen. Seien Sie sicher: Auch diese Zeit findet ein Ende!

Bleiben Sie behütet, zuversichtlich und gesund!

Ihr Pfr. Veit Hoffmann