Jahreslosung 2020

Ich glaube, hilf meinem Unglauben

Glaube kratzt im Hals

Ein Vater brüllt wie ein Löwe für sein krankes Kind. Er hatte schon Ärzte konsultiert und alle guten Ratschläge berücksichtigt. Aber Hilfe für sein Kind hat er nicht erfahren. Dämonisch wirft es sich zu Boden, leidet, bleibt starr liegen. Die Jünger Jesu versuchten diese entstellte Seite des Kindes auszutreiben mit all ihren heilenden Künsten. Aber vergeblich. Jesus ist sauer auf sie. Er stellt dem Vater viele Fragen zur Krankengeschichte. Es gibt ein Missverständnis. Als der Vater erkennt, dass nur sein Vertrauen heilen kann, schreit er: „Ich glaube; hilf meinem Unglauben!“ Aus dem Kind fahren alle bösen Dämonen aus. Der Vater hat seitdem ein Kratzen im Hals, dass ihn daran erinnert, wie wichtig sein Vertrauen ist.

Glauben ist ein befreiender Schrei. Das Leiden fährt durch die Kehle aus, so kann ich frischen Glauben einatmen. Heilende Begabung oder Glaubenskunst ist nett, aber nicht das, was Jesus in uns wecken kann. Diese Geschichte wühlt mich auf. Glaube à la Jesus ist keine Komfortzone. Er weckt ihn tief in der Seele, die alles herausschreit, was sie von Gott und den Menschen trennt. Selbst seine Schüler haben Mühe das zu begreifen. Im Feedbackgespräch sagt er ihnen klar: Diese Art von Unglauben kann man nur durch Beten austreiben. Betet für die, die von unmenschlichen Dämonen besessen sind.

Besessenheit scheint ein Zeitgeist zu sein. Sie kann einem in alltäglichen Situationen gegenübertreten: ein eigentlich ganz netter Kollege äußert sich rassistisch über eine andere Person, die Gesichtszüge entgleiten ihm. Eine Mitreisende in der U-Bahn macht ihr Kind nieder. Sie scheint sonst ganz o. k. zu sein. Auf ihre Sprache angesprochen, versteinert ihr Gesicht. Ein Freund, von dem man es nicht gedacht hätte, verurteilt Mitglieder einer anderen Religion, er lässt sich nicht davon abbringen und findet ein rechtfertigendes Argument nach dem nächsten.

Alle brauchen mehr Glauben à la Jesus. Einer, der die Seele so berührt, dass sie das Dunkel, das Verurteilen, das hässliche Reden mit einem Schrei austreibt. Um das zu können, ist es auch wichtig, das eigene Zerrbild, in dem man in 1.000 Teile zerschlagen ist, zu sehen, den Vertrauensschrei zu wagen, immer wieder, um der Menschlichkeit, wie Gott sie sich vorstellt, willen.

Ich wünsche Ihnen von Herzen für das Jahr 2020 innige Gebete für einander, die Leiden lösen. Ich wünsche Ihnen offene Gespräche mit guten Fragen. Und von Herzen wünsche ich Ihnen einen Glauben, der sie und andere befreit zu einem Leben im Einklang mit der Umwelt und dem Frieden für alle Menschen.

Superintendent Michael Raddatz