Ein Festtag am Rackebüller Weg

aus "Die Dorfkirche" im Februar 1957:

Noch um 1800 hatte Lichtenrade erst ca. 110 Einwohner, eine Zahl, an der sich seit der Gründung des Ortes im 13. Jahrhundert nicht viel geändert hatte. Um 1900 waren es auch erst knapp 900 Einwohner. Und erst als es 1927 ca. 8.000 waren, wurde unter dem bekannten, langjährigen Pfarrer Dr. E. F. Klein eine zweite Pfarrstelle eingerichtet und das Pfarrhaus Goltzstraße 33 gebaut.

Damit war bei der ständig wachsenden Einwohnerzahl aber der anderen großen Schwierigkeit, der Raumnot, immer noch nicht begegnet, bei 1939 ca. 15 000 Einwohnern und 1956: 22 300 Einwohnern.

So durften wir jetzt am 3. Advent 1956 auch das langersehnte neue Gemeinde-Zentrum für den Nordbezirk am Rackebüller Weg einweihen, zusammen mit der Einführung unseres bisherigen P. Zippel in die am 1. April 1956 neu eingerichtete dritte Pfarrstelle durch unseren Superintendent. Dr. Dittmann. Unserem Gemeindeglied, Frau Klotz, sei auch bei dieser Gelegenheit nochmals besonders gedankt, nachdem sie jahrelang auch ihre Wohnung zu Bibelstunden zur Verfügung gestellt hat. Der Neubau am Rackebüller Weg soll zugleich den in Lichtenrade zahlreich vertretenen Flüchtlingen und Heimatvertriebenen dienen (rund 1.500 Einwohnern in der benachbarten Neuen Heimat).

Außer dem eigentlichen Kirchenraum und Konfirmandensaal sind diesen daher zunächst vier besondere Räume zugewiesen worden. Unserer Gemeinde bleiben dann immer noch zwei Zimmer für das Pfarramt und eine kleine Wohnung für die Gemeindeschwester mit Behandlungsraum, und nicht zu vergessen, endlich auch einmal eine richtige Teeküche für Gemeinde-Veranstaltungen. Das hat alles rund DM 150.000,-- gekostet, wobei unsere Gemeinde aber nur mit 1/5 belastet wurde. Das wollen wir nicht vergessen!

Die Kirche bietet etwa 200 Sitzplätze, mögen es am ersten Tage gewiss auch über 400 Gäste gewesen sein. Drei Architekten waren am ganzen Bau beteiligt. Die Architekten Foth und Darge schufen den hellen, klar gegliederten Raum mit den breiten hohen Fenstern an der Ostseite, der spitzen Decke und einer Jalousiewand zu dem angrenzenden Konfirmandensaal auf der Westseite. Architekt Wolschke gestaltete in gleichfalls einfachen und klaren Formen den Altartisch mit den Geräten, eine niedrige Kanzel zur Linken und einen schlanken runden Taufstein zur Rechten, alles in Form und Farbe sehr fein aufeinander abgestimmt. Manches ist auch noch nicht fertig, z. B. eine richtige Orgel, Symbol-Ornamente für die Fenster usw. Keinesfalls möchten wir aber auch auf den Turm für die Glocken verzichten. Aber unsere Absichten eines mehr als bisher sakral bestimmten Raumes sind doch wohl schon erkennbar.

Unser neuer Pfarrer steht nun vor der Aufgabe, unsere Gemeinde in Lichtenrade-Nord (auch dafür fehlt ja noch der richtige Name, vergleiche unser Preis-Ausschreiben) zu sammeln. Viele Jahre ist dafür von anderen schon gute Vorarbeit geleistet worden und es ist jetzt zunächst nicht viel anderes zu tun als diese Arbeit fortzusetzen, nur von einer räumlich wesentlich günstigeren Basis aus, einschließlich der so wichtigen Jugendarbeit, die Pfarrer Zippel wohl auch besonders am Herzen liegt. Dafür wollte er in seiner Antrittspredigt wohl kein besonderes Programm entwerfen, aber er ließ die biblische Grundlage als das A und 0 jeder christlichen Arbeit deutlich werden. Er verzichtete dabei sogar auf einen besonderen Festpredigt-Text, aber er zeigte am vorgeschriebenen Text von Lukas 3, 10-18 die Forderungen Christlicher Verantwortung und christlicher Barmherzigkeit im Leben des Alltags. Wir wissen, wie groß und schön all solche Arbeit ist, aber auch wie schwer im Rahmen einer Volkskirche, die wir nun einmal sind. Eine oft unlösbar scheinende Aufgabe! Und doch wie seltsam, dass gerade die einfache, schlichte Rede, in demütig brüderlichem Verstehen Gottes Wort oft am leichtesten gerecht wird. Möchte es auch unseren Pfarrern immer wieder neu geschenkt werden.

(Hier fehlt leider die Vorseite mit dem Anfang aus dem Gemeindebrief Februar 1957)

[...]
dieses Gemeindezentrum zu bauen, zu standen wir noch mitten in den Arbeiten für das Gemeindehaus Goltzstraße 33. Dieser Bau hatte dem Gemeindekirchenrat große Sorgen bereitet. Mit wenig Geld und viel Vertrauen auf den Segen Gottes hatten wir das Gemeindehaus begonnen, und nun tauchte mit einmal, während uns noch schwere finanzielle Sorgen drückten, der Gedanke auf, am Rackebüller Weg einen weiteren Gemeindestützpunkt zu errichten. Nur mit großem Zögern ging der Gemeindekirchenrat an diesen Plan. Dank der Förderung durch das Ausland und die kirchlichen Stellen in Berlin bot sich uns die Gelegenheit, ein altes Projekt zu verwirklichen, so dass wir uns im Gemeindekirchenrat entschlossen, auch diesen Packen noch auf uns zu nehmen in dem Glauben an den Herrn, der uns vor diese Aufgabe gestellt hatte, und in der zuversichtlichen Hoffnung, dass uns die Gemeinde nicht im Stich lassen werde.

Glaube und Hoffnung wurden nicht enttäuscht, so dass wir am 3. Advent das Gemeindezentrum einweihen konnten. Nun wird am Rackebüller Weg Gottes Wort verkündigt, und hier besonders denen, die durch die Not der Nachkriegszeit als neue Gemeindeglieder nach Lichtenrade gekommen sind.

Vier dem Gottesdienst und kirchlichen Zwecken gewidmete Häuser hat unsere Gemeinde in den letzten sieben Jahren unter großen finanziellen Opfern erstellt: die im Kriege zerstörte Dorfkirche, das Gemeindehaus in der Goltzstraße, die Friedenskapelle und nunmehr das Gemeindezentrum Rackebüller Weg. Dass diese Bauten fertig geworden sind, sollte uns mit Dankbarkeit erfüllen und dazu beitragen, dass wir uns mit neuen Opfern den Aufgaben widmen, die noch unserer harren. Nun gilt es, die mit den Bauten erwachsene Schuldenlast zu verzinsen und zu tilgen. Für die Gemeinde und den Bauverein stehen opferreiche Jahre bevor. Lasst uns in Dankbarkeit und mit der Zuversicht, dass auch dieser Weg gesegnet ist, weiter unser Opfer bringen.

Unsere Kirchengemeinde hat mit diesen 4 Bauten weiten Raum bekommen. Möchte es uns geschenkt werden, diesen weiten Raum in rechter Großzügigkeit zu füllen durch Sammlung von Gemeindegliedern und Bereitschaft zum Opfern, nicht zuletzt auch im Sinne unseres Monatsspruches Lukas 12,15: „Sehet zu und hütet euch vor dem Geiz".